Wie frühe Kindheit unsere Bindungsfähigkeit bestimmt – 4 Bindungs-Typen

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Wie kommt es, dass manche unglaubliche Schwierigkeiten damit haben sich in eine feste Beziehung zu begeben? Vielleicht kennst Du auch jemanden, der sich sehnlichst eine Beziehung wünscht und dennoch scheint es so, als würde er alles dafür tun die entstehende Beziehung zu verhindern. Nähe und Herzlichkeit verwandeln sich in Ablehnung und Kälte. Gemeinsame Unternehmungen und Zukunftsplanung in leere Versprechen. Ich habe mich immer gefragt, was dahintersteckt, wenn manche ihre Beziehung mehr oder weniger bewusst manipulieren. Wenn sie fremdgehen, obwohl sie selbst davon überzeugt sind den Partner/die Partnerin von ganzem Herzen zu lieben. Warum sie sich tagelang nicht bei ihrem potentiellen neuen Partner melden, obwohl sie sich eigentlich Kontakt und eine feste Beziehung wünschen. Warum gibt es so viele, die mittlerweile vor der Verantwortung einer Beziehung oder einer Ehe davonlaufen oder so viele, die sich nicht für einen Partner entscheiden können?
Es gibt einige Menschen mit Bindungsangst, oder bindungsängstlichem Verhalten. Manche sind sich dessen bewusst, andere nicht.

Worin liegt aber die Ursache für die Fähigkeit oder Unfähigkeit gesunde Beziehungen einzugehen?

Die 4 Bindungstypen

Nach der Bindungstheorie von John Bowlby gibt es 4 Bindungstypen. Er ging davon aus, dass in den ersten beiden Lebensjahren eine sichere, enge Bindung für eine gesunde Entwicklung notwendig ist. Die Erfahrungen im Kleinkindalter mit Bezugspersonen trägt maßgeblich dazu bei, wie der spätere Erwachsene seine Umwelt wahrnimmt und wie es um sein Beziehungsfähigkeit steht.

Mary Ainsworth testete die Theorie von Bowlby mit einem Experiment, in dem Kinder von 11 bis 18 Monaten mit ihrer Bezugsperson in einer neuen Umgebung beobachtet wurden- der Fremde-Situation-Test. Die Bezugsperson verließ den Raum und es wurde dokumentiert, wie die Kinder auf das Verlassen-werden und die Rückkehr der Bezugsperson reagierten. Es ergaben sich daraus 4 Bindungstypen die aufzeigen, wie sehr sich ein Kind an der Bezugsperson orientiert (Bindungsverhalten) und wie selbstständig es das Erkunden der Umgebung unternimmt (Explorationsverhalten).

Die unsicher-ambivalente Bindung

Ursache

Das Verhalten der Bezugsperson ändert sich häufig. An manchen Tagen sind sie liebevoll, aufmerksam und interessiert am Kind und seinen Bedürfnissen, an anderen Tagen sind sie abwesend oder ablehnend. Das Kind ist verunsichert, passiv und ängstlich, denn es weiß nicht was es zu erwarten hat. Es ist sich unsicher, ob die eigenen Bedürfnisse erfüllt werden. Auch eine frühe Trennung von der Bindungsperson oder emotionaler bzw. physischer Missbrauch können dazu führen einen unsicher-ambivalenten Bindungsstil zu entwickeln.

Verhalten im Test

Im Fremde-Situation-Test versuchten diese Kinder Trennung zu vermeiden und benötigten nach der Rückkehr der Bezugsperson einige Zeit, um sich zu beruhigen. Sie waren fixiert auf ihre Bezugsperson, jedoch nicht an Exploration interessiert. Die Reaktion auf die Bindungsperson war einerseits wütend und trotzig, jedoch wurde dennoch die Nähe und der Kontakt zur Bindungsperson gesucht.

Bindungsverhalten in erwachsenen Beziehungen

Der Erwachsene mit unsicher-ambivalentem Bindungsstil, lebt in ständiger Angst verlassen oder abgelehnt zu werden. So ein Partner kann sehr eifersüchtig sein, viel Lob, Anerkennung und Liebesbekundungen einfordern und klammern. Dieser Erwachsene leidet unter einem niedrigen Selbstwertgefühl, stellt jedoch andere und vor allem die Bezugsperson, auf ein Podest. Er braucht die Bestätigung gut genug zu sein und es wert zu sein, geliebt zu werden. Um sich wertvoll genug für die Beziehung zu fühlen, gibt diese Person alles, um die Bezugsperson zu beeindrucken und zu binden. Zu groß ist die Angst verlassen zu werden. Im Extremfall besteht kaum Interesse an der Umwelt, den ehemaligen Freunden, eigenen Hobbies oder Zielen. Das wichtigste und einzige ist, die Liebesbeziehung aufrecht zu erhalten und den emotionalen Hunger nach der Liebe und Zuwendung, zu stillen. Benötigt der Partner Zeit für sich allein und fordert dies ein, wird das von einem unsicher-ambivalenten Erwachsenen häufig als Bedrohung der Beziehung angesehen, denn er kennt es nicht, ohne den Partner sein zu wollen. Er hat dann schnell das Gefühl, etwas anderes stecke dahinter und er sei die Ursache für die Distanzierung des Partners. Letztendlich ist dies fast schon eine selbsterfüllende Prophezeiung, denn je mehr sich der Partner entfernt, desto mehr wird geklammert.

Die unsicher-vermeidende Bindung

Ursache

Die Bezugsperson verhält sich distanziert und das Kind hat das Gefühl, dass die eigenen Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Zwar kann die Bezugsperson physisch anwesend sein, jedoch fühlt sich das Kind nicht beachtet, nicht wahrgenommen und nicht angemessen emotional verbunden. Es gibt wenig bis keinen Körperkontakt und häufige Kritik oder Äußerung von Unmut. Aus Selbstschutz entwickelt das Kind unbewusst eine Distanz zur Bindungsperson. Gerade in der heutigen Zeit, in der das Smartphone fest mit der Hand verwachsen ist, steigt die Gefahr seinen Kindern das Gefühl von Abwesenheit und Distanz zu vermitteln.

Verhalten im Test

Im Fremde-Situation-Test waren die Kinder unbeeindruckt als die Bezugsperson den Raum verließ und zeigten auch bei längerer Abwesenheit keine Anzeichen von Vermissen. Sie zeigten sich ruhig und selbstbewusst, wobei innere Anspannung sichtbar war. Als die Bindungsperson zurückkam reagierten sie mit Ignoranz und lehnten Körperkontakt ab. Man kann also sagen, sie zeigten hohes Explorationsverhalten und niedriges Bindungsverhalten.

Bindungsverhalten in erwachsenen Beziehungen

Kinder mit unsicher-vermeidendem Bindungsstil haben verinnerlicht, dass die Bezugsperson sie zurückweist. Um weitere Zurückweisung zu verhindern, wird enger Kontakt, sowie Gefühle, die zu Unsicherheit führen, vermieden. Diese Erwachsenen wirken auf sich selbst fokussiert und unabhängig. Es wirkt, als bräuchten sie keinen Liebespartner, sondern würden sich selbst genügen. Dabei handelt es sich jedoch um Selbstschutz. Sie hatten gelernt, sich nicht auf ihre Bezugsperson verlassen zu können. Sie sind sehr verschlossen was ihre wahren Gedanken und Gefühle betrifft und versuchen Beziehungen und Begegnungen eher oberflächlich zu halten. Meist sind die das Gegenteil von einsam und eher gesellig, ständig unterwegs und haben stetig wechselnde Sexualpartner. Auf anhängliches und abhängiges Verhalten (siehe ängstlich-ambivalenter Bindungsstil) reagieren sie mit Ablehnung und Distanzierung. Je mehr sie sich bedrängt fühlen, desto mehr distanzieren sie sich. Sie haben eher ein positives Selbstbild, jedoch ein negatives Bild von anderen. Sie gehen automatisch davon aus, verlassen und abgelehnt zu werden und lassen somit niemanden nah an sich heran. Wenn es doch zu emotionaler Nähe kommen sollte, sabotieren sie diese. Das sind dann Verhaltensweisen, wie oben beschrieben, die typisch sind für Menschen mit bindungsängstlichem Verhalten (ghosting, Ablehnung, Ausflüchte). Erwachsene mit unsicher-vermeidendem Bindungsstil versuchen meist alles selbst, ohne die Hilfe von anderen zu meistern. Liebesbeziehungen können nur unter ihren eigenen Konditionen bestehen und häufig entstehen dadurch sogenannte On-Off-Beziehungen.

Die unsicher-desorganisierte Bindung

Ursache

Die Bezugsperson verhält sich widersprüchlich. In einem Moment ist sie liebevoll und fürsorglich, im anderen Moment aufgebracht und bedrohlich. Es gibt keine klaren Regeln, sodass das Kind die Bezugsperson als unberechenbar empfindet. Das Kind erfährt, dass die Befriedigung der Bedürfnisse nicht gesichert ist. Die Bezugsperson wird als Gefahr wahrgenommen, was häufig auch der Realität entspricht. Kinder die von ihren Bezugspersonen emotional, physisch oder sexuell missbraucht werden entwickeln meist einen unsicher-desorganisierten Bindungsstil. Dieser kann auch entstehen, wenn die Bezugsperson unter einer psychischen Erkrankung oder Persönlichkeitsstörung leidet und die Auswirkungen nicht unter Kontrolle hat. Das Kind erfährt stetig, dass es nicht sicher ist und die Gefahr von der Bindungsperson ausgeht. Es kommt zum Urmisstrauen, was bedeutet, dass das Kind grundsätzlich Schwierigkeiten hat anderen zu vertrauen und sich in dieser Welt sicher zu fühlen. Da sie wenig oder widersprüchliche Nähe erfahren haben, entwickelt sich nicht nur ein negatives Bild von anderen, sondern auch ein negatives Selbstbild.

Verhalten im Test

Im Fremde-Situation-Test reagieren diese Kinder widersprüchlich auf die Rückkehr ihrer Mutter. Sie zeigten ein erhöhtes Stresslevel, wechselhafte Verhaltensweisen und teilweise sogar Aggressionen gegen ihre Bezugsperson. Das Verhältnis zu Bindung und Exploration war uneindeutig.

Bindungsverhalten in erwachsenen Beziehungen

Dieser Bindungstyp wird häufig als Mischform des ängstlich-ambivalenten und des unsicher-vermeidenden Bindungsstils bezeichnet. Erwachsene mit diesem Bindungsstil zeigen sowohl den Wunsch nach Nähe, jedoch empfinden sie diese zugleich auch als Bedrohung und wenden sich wieder ab. Sie sind davon überzeugt, dass es niemanden gibt, der sie so akzeptieren und lieben kann, wie sie sind. Dadurch sabotieren sie ihre Beziehungen selbst, beenden diese plötzlich, nur um kurz darauf wieder zusammen zu kommen. Beziehungen und Gefühle zu Bindungspersonen sind ein völliges Durcheinander und der Betroffene weiß selbst nicht wie ihm geschieht. Plötzliche Gefühlsausbrüche und irrationale Verhaltensweisen und Denkmuster bestimmen den Alltag. In Bezug auf oberflächliche Kontakte sind diese eher kontrollierbar, in Bezug auf Liebesbeziehungen oder Familienmitglieder können massive Wutausbrüche, sowie selbst-, oder fremdverletzendes Verhalten auftreten. Durch die traumatischen Erfahrungen in der Kindheit, die zu diesem Bindungsstil führen können, ist die Wahrscheinlichkeit für eine psychische Erkrankung (Persönlichkeitsstörung, Depression, Sucht, …) erhöht.

Die sichere Bindung

Ursache

Die Bezugsperson verhält sich verlässlich. Das Kind erfährt, dass seine Bedürfnisse schnell befriedigt werden, dass es umsorgt und getröstet wird. Es fühlt sich in seiner Umwelt sicher und geborgen. Es bildet sich das sogenannte Urvertrauen. Befindet sich das Kind mal in einer unsicher erlebten Situation, wird es von der Bezugsperson getröstet und beruhigt. Die Bezugsperson beschäftigt sich mit dem Kind, nimmt es bewusst wahr und interagiert. Außerdem besteht ein Gleichgewicht zwischen Explorationsverhalten und Bindungsverhalten. Die Bindungsperson gibt dem Kind die Möglichkeit und Raum zur Erfahrung der Umwelt und zugleich Sicherheit.

Verhalten im Test

Kinder mit sicherem Bindungsstil reagierten im Fremde-Situation-Test mit weinen und schreien, als die Bindungsperson den Raum verließ. Bei Rückkehr der Bindungsperson reagierten sie mit Freude und Erleichterung und ließen sich schnell beruhigen. Sie setzten das Explorationsverhalten fort.

Bindungsverhalten in erwachsenen Beziehungen

Erwachsene mit einem sicheren Bindungsstil fühlen sich in Beziehungen wohl. Sie sind in der Lage ihre Gefühle und Wünsche zu kommunizieren und gehen interessiert und verständnisvoll auf die Bedürfnisse und Wünsche des Partners ein. Sie können ihre Gefühle gut regulieren und sind sowohl unabhängig als auch liebevoll in der Beziehung. Sie fühlen sich wohl mit körperlicher Nähe und sind in der Lage Zuneigung adäquat zu zeigen. Eine Beziehung zu haben ist für sie nicht die oberste Priorität, denn sie verfolgen eigene Ziele und wissen sich allein zu beschäftigen.

Das Bindungsverhalten der Eltern

Die meisten Menschen haben sich noch nie Gedanken zu ihrem Bindungsstil gemacht. Das Bindungsverhalten der Eltern wirkt sich jedoch unmittelbar auf ihre Kinder aus. Es ist ja schon lange bekannt, dass wir unsere Kinder so erziehen, wie wir selbst erzogen wurden. Außer wir reflektieren uns vorher selbst und werden uns darüber bewusst, wie sich unsere Kindheit auf unser Erwachsenenleben ausgewirkt hat. So ist es also sehr wahrscheinlich, dass eine Mutter mit unsicher-vermeidendem Bindungsstil ein Kind erzieht, dass ebenso unsicher-vermeidend in Bindungen agiert. Die Mutter hat beispielsweise Schwierigkeiten damit, körperliche Nähe zu geben, da sie diese selbst als Kind nicht erfahren hatte oder Berührung und Nähe als etwas gefährliches erlebt hatte.

Bevor man sich also bewusst dafür entscheidet Kinder zu bekommen, sollte man sich seiner Vergangenheit stellen. Je mehr man versteht, warum sich bestimmte Verhaltensweisen, Gefühle und Denkmuster entwickeln haben, desto eher kann man sie auch neutralisieren. Dann kann man bewusst darüber entscheiden, wie man sich seinen eigenen Kindern gegenüber verhalten möchte und welche Werte sie lernen sollten.

Mit einem Kind trägt man die Veranwortung für ein Lebewesen, welches vor allem in den ersten Lebensjahren absolut abhängig von den Bezugspersonen ist. Die gesunde körperliche, psychische und emotionale Entwicklung des Kindes, sollte also das höchste Ziel sein und die besten Voraussetzungen für das Kind zu erschaffen. Dafür benötigt es in erster Linie Bezugspersonen, die sich ihrer eigenen Bindungsfähigkeit und ihren verinnerlichten Denk-, und Verhaltensmustern bewusst sind und die gewillt sind ihr absolut bestes in der Erziehung und Behütung ihrer Kinder zu geben.

Den Bindungsstil ändern

Wenn Du Dich in einem der oben genannten unsicheren Bindungsstilen erkannt hast, fragst Du Dich wahrscheinlich, ob sich dein Bindungsstil verändern lässt. Ja. Du kannst ihn ändern. Es braucht jedoch viel Selbstbeobachtung und Reflexion um zu einem sicheren Bindungsstil zu kommen. Auch ist es möglich, dass Du dennoch immer wieder in alte Verhaltensweisen zurückfällst oder Dir Traumata bewusst werden, die Du vorher erfolgreich verdrängt hattest. Gerade wenn Du das Gefühl hast, den unsicher-desorganisierten Bindungsstil erlebt zu haben und unter den Folgen leidest, solltest Du einen Psychotherapeuten aufsuchen, statt Dich ganz alleine mit der schmerzlichen Vergangenheit auseinander zu setzen.

Es ist hilfreich, wenn Du zumindest eine Bindungsperson hast, bei der Du Dich sicher und geborgen fühlst und die dir bedingungslose Liebe entgegen bringt. Das kann außer einem Elternteil auch die Oma oder der Partner sein. Wenn Du Dich an dieser Stelle mit Liebe und Nähe auftanken kannst, kann Dich das stärken. Du solltest Dich jedoch niemals nur auf eine andere Person verlassen um Dich mit Liebe und Sicherheit zu versorgen. Denn woraus besteht der sichere Bindungsstil?

Du kannst es auf jeden Fall schaffen, von einem unsicheren zu einem sicheren Bindungsstil zu gelangen. Es wird so viel einfacher für Dich sein, liebevolle und gesunde Beziehungen aufzubauen und ein selbstsicheres Leben zu führen. Ich selbst habe die unsicher-erlebte Bindungserfahrung hinter mir gelassen und bin heute dazu fähig sowohl mich selbst, als auch meinen Partner bedingungslos zu lieben.

Wenn Du von meinen Erfahrungen profitieren möchtest und auf Deinem Weg von mir begleitet werden willst, vereinbare gerne ein kostenloses und unverbindliches Kennenlerngespräch mit mir oder sieh Dich auf meiner Homepage um.

Ich hoffe mein Beitrag war interessant und hilfreich für Dich und wünsche Dir von Herzen alles Gute!

deine Sonja 🌼 von selflove-empowerment ♥︎

 

 


Quellen:

Hemmings, Jo/Catherine Collin/Joannah Ginsburg Ganz/Merrin Lazyan/Alexandra Black: Psychologie im Alltag: Wie wir denken, fühlen und handeln, 01.01.2019.

https://www.attachmentproject.com/blog/four-attachment-styles/

https://www.erzieherin-ausbildung.de/praxis/u3-fachtexte-alltagshilfen/bindung-und-bindungstheorien-nach-bowlby-bindungstypen-leicht

https://www.studysmarter.de/schule/psychologie/grundlagendisziplinen-der-psychologie/bindungstypen/